06.10.2015, Hochparterre

«Wir waren damals alleine mit unserer Leidenschaft für den Manierismus»

Text: Lora Sommer, Foto: Paola Caputo
Trix und Robert Haussmann, Architekten, Designer

TH: Ich habe erst mit dreissig bei Werner Max Moser und Jacques Schader an der ETH diplomiert. Anfang zwanzig ging ich mit meinem damaligen Mann nach Mexiko, wo ich heiratete und zwei Kinder bekam. Später, als ich in der Schweiz mit dem Studium begann, war ich als Mutter disziplinierter als meine Kommilitonen. Ich besuchte jede Vorlesung und sog alles wie ein Schwamm auf. Während meinem Praktikum in Flims bei Rudolf Olgiati fand ich Zugang zu Le Corbusier und Louis Kahn, meinen Vorbildern. Und in der Kunstgeschichte bei Adolf Max Vogt lernte ich den Manierismus kennen. Er hat mich seither nicht mehr losgelassen.
RH: Mit dreissig stand ich mitten im Berufsleben. Zusammen mit meinem Bruder übernahm ich das Innendekorationsgeschäft unseres verstorbenen Vaters an der Oberdorfstrasse in Zürich. Ich war ein Bauhaus-Fan, geprägt durch meine Zeit an der ‹Gerrit Rietveld Academie› in Amsterdam. Ich glaubte damals wirklich, dass Grundfarben, Linien und Quadrate die Menschen und die Welt besser machen. Unsere Generation diskutierte viel und stritt fleissig, jeder vertrat seine Vorlieben. Edi Neuenschwander etwa liebte Alvar Aalto und André Studer mochte das Lehrbuch der Harmonik.
TH: Und Werner Max Moser mochte Frank Lloyd Wright, während Dolf Schnebli von Le Corbusier beeinflusst wurde.
RH: Kurt Thut sagte einmal, er habe den lieben Gott gegen Mies van der Rohe ausgetauscht. Das gilt auch für mich. Später war es vor allem Siegfried Giedeon, der mich prägte. Er richtete ein Privatseminar aus, bei dem auch seine Frau Carola mitwirkte. Sie schaffte Querverbindungen zu Musik und Literatur. Das auf mich unheimlich belebend gewirkt.
TH: Wir haben uns auch kritisch auseinandergesetzt mit den Vorbildern. Das muss man ja!
RH: Trix und ich studierten unabhängig voneinander Andrea Palladios Villen, was zu jener Zeit gar nicht angesagt war. Wir spürten beide eine Zuneigung zum 16. Jahrhundert und zu Disziplinen wie Kunst, Literatur und Musik. Es war ein Glücksfall für uns, dass wir uns für dieselben Dinge begeisterten. Ohne diesen Dialog, den wir ständig führen, wäre unsere langjährige Arbeit nicht möglich gewesen.
TH: Wir waren damals alleine mit unserer Leidenschaft für den Manierismus. Die gleichaltrigen Architekten fanden es das Letzte. Uns war das egal. Es hat uns brennend interessiert und in jeden Auftrag versuchten wir etwas davon einzubringen. Die heutige Generation muss sich mit Themen wie Energiesparen befassen. Das hat nichts mit Ästhetik zu tun. In unserer Zeit ging es um Formen und darum, einen Ausdruck zu finden. Heute zählt vor allem der soziale Aspekt. Formal gibt es keine Richtlinien mehr. Jeder macht ein bisschen etwas Schräges.
RH: Es wäre unglaublich, wenn einer ein ganz kubisches Haus entwerfen würde. Fast schon unverständlich.
TH: In den Siebzigern und Achtzigern wurden Kubikmeter geschaufelt, es wurde unglaublich viel gebaut. Da hat sich vieles gebessert: Die junge Generation denkt, bevor sie baut. Masse wird nicht mehr so unüberlegt hingeklotzt wie damals. Ich wünsche der jungen Generation das heilige Feuer, Begeisterung und Überzeugung für die Sache, die es braucht in diesem Beruf.
RH: Und den unbedingten Einsatz, um mehr zu erreichen als nur die Tagesaufgabe zu lösen.
TH: Wir haben uns immer mit unseren Projekten identifiziert. Als wir in den Achtzigerjahren den Hauptbahnhof in Zürich entwarfen, verstand ich ein paar Jahre nur noch Bahnhof. Robert sagte jeweils, er sei mit einem Bahnhöfli verheiratet.

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